Traumleben

Hauptkampflinie im nordwestlichen Sektor
Das zweite Bataillon unter Gaara stand der vollen Wucht von Madaras übermächtigen Kräften gegenüber. Die Erde war eine verwüstete Narbe. Der Himmel, schwarz vor Chakra und Staub. Und die Luft vibrierte unter der Last alter Jutsu.
Aiko sprang durch die Luft, ihr Holzversteck zerschnitt den Boden wie schimmernde Klingen. Splitter flogen, Feinde wichen oder fielen. Ihre Bewegungen waren präzise, kein Zögern in den Augen, keine Hast in den Fingern.
Sie kämpfte mit kalkulierter Härte.
Madaras Klone umzingelten sie wie ein Meer aus Rüstung und Gewalt. Susanoo-Fragmente stürzten herab, durchzogen vom blauroten Licht alter Kräfte. Schreie, Stahl, zerberstender Boden. Sie hörte es kaum. Sie zählte nur den Rhythmus.
Gaara schwebte dahinter, still und wachsam in seinem Schild aus Sand. Doch selbst er wusste: Auch sie kamen an ihre Grenzen.
Aiko spürte es. In den Armen, die schwerer wurden. In der Lunge, die brannte. In dem Pochen ihrer Schäfen, das nicht mehr von Wut kam, sondern von Erschöpfung.
Sie konnte nicht ewig standhalten.
Dann, ein Lichtblitz. Plötzlich, grell, lebendig.
Chakra pulsierte mitten ins Schlachtfeld. Ein Markierungssiegel flammte auf.
Teleportation.
Die Luft riss auf, und Mei Terumī, die Mizukage, trat als Erste hervor. Stolz. Ruhig.
Und hinter ihr:
Genma.
Vollständig. Lebendig. Nicht ein Schatten. Kein Trugbild.
Ein Mensch mit Staub auf der Weste, Blut an den Stiefeln, nicht sein eigenes. Und im Bruchteil eines Herzschlags dachte Aiko nur eines:
Er ist hier.
Ihre Blicke trafen sich. Fest. Unverstellt.
Sie war zerzaust, ihr Blick scharf, ihre Hände voller Holzsplitter. Er stand aufrecht, das Senbon zwischen den Lippen.
Aiko atmete schwer. Ihre Stimme war rau vom Staub.
„Hat dich irgendwer um Erlaubnis gefragt, hier aufzutauchen?“
„Ich hab gehört, du machst’s dir schwer, dachte, ich bring ein bisschen Stil ins Gemetzel.“
Ein kurzes Aufblitzen in ihren Augen.
„Nur wenn du mir diesmal nicht wegstirbst.“
Er trat neben sie, beide rücken aneinander, Rücken zu Rücken.
„Nicht ohne dich, Uchiha.“
Und dann kam der Kampf. Sie sprachen nicht. Sie kämpften. Wie früher. Wie immer. Aber diesmal war da mehr.
Aiko erschuf ein Mosaik aus Spiegeln und Holz. Sie lenkte, verwirrte, spiegelte. Ihre Genjutsu flirrten durch das Schlachtfeld wie Lichter in einem Sturm.
Genma bewegte sich durch diese Lücken, warf seine Senbon exakt in die Schwachstellen, die sie ihm öffnete. Keine Absprache. Kein Ruf. Nur Instinkt. Vertrautes Vertrauen.
Madaras Klone fielen. Einige. Nicht alle. Aber genug, um die Linie zu halten.
Sie standen nebeneinander, schwer atmend. Die Stirn verschwitzt, die Arme zerschunden. Aber sie standen.
Aiko warf ihm einen Blick zu.
„Das war… fast beeindruckend.“
Genma spuckte das Senbon aus, fing es auf und schob es sich wieder zwischen die Lippen. Schwach grinsend.
„Sag das nochmal, wenn wir das hier überleben.“
Aikos Blick wurde weicher. Fast zärtlich.
„Dann sag ich vielleicht noch mehr.“
Ein kurzer Blick. Ein halbes Lächeln. Dann wieder Stille.
Denn sie wussten: Es war noch nicht vorbei. 

Die Sonne fiel in weichen Streifen durch das Fenster der Küche. Der Duft von frischem Reis und Miso-Suppe lag in der Luft. Genma stand am Herd, die Schürze falsch herum gebunden, wie immer. Er summte leise, eine Tonfolge ohne Ziel. Auf dem Tisch lag ein einzelnes Senbon. Nur zur Sicherheit.
Aiko saß auf dem Boden, ihre Finger falteten Origami-Blumen aus Papier in zarten Farben. Ihr Gesicht war ruhig, ihre Haltung entspannt. Doch wenn sie zu ihm aufsah, und das tat sie oft, erschien dieses kleine, unwillkürliche Lächeln, das sie nicht mehr verbarg.
„Sag’s ruhig,“ sagte Genma, ohne sich umzudrehen. „Ich hab den Reis angebrannt.“
„Ich wollte nur sagen,“ erwiderte Aiko, eine Braue leicht erhoben, „dass du dich mehr auf den Topf konzentrierst als bei den Missionen auf deinen Rücken.“
„Der Topf ist gefährlicher,“ meinte Genma mit einem Grinsen. „Der greift ohne Vorwarnung an.“
Aiko erhob sich, trat leise zu ihm. Sie nahm ihm wortlos die Reisschüssel ab, rührte zweimal, stellte sie zurück. Dann blieb sie neben ihm stehen, nah, ernst, und zugleich sanft. Ihr Blick hielt seinen fest.
„Du hast heute dienstfrei,“ sagte sie leise. „Und trotzdem kochst du.“
Genma zog sie sanft an der Taille näher.
„Ich kann nicht zulassen, dass du besser in allem bist. Wenigstens in der Küche will ich dir voraus sein.“
„Du bist mir nie voraus,“ flüsterte sie, „aber ich mag’s, wenn du’s versuchst.“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Kein flüchtiger Kuss. Kein vorsichtiger. 
Draußen im Garten, Rin, das kleine Mädchen mit den dunklen Augen und dem frechen Grinsen ihres Vaters, lachte hell auf, als ihr Papierdrache hoch in den Wind schoss. Ihr Bruder Takeshi, schon ein paar Jahre älter, rannte neben ihr her. Mit ernster Miene, wie ein junger Ninja, rief er Anweisungen und passte auf, dass die Schnur nicht riss.
Aiko stand am Fenster, beobachtete sie. Ihre Hand ruhte auf dem Fensterrahmen, die andere an ihrer Seite.
„Wenn das hier ein Traum ist,“ sagte sie leise, „dann will ich nie aufwachen.“
Genma trat hinter sie, legte die Arme um ihre Taille, sein Kinn ruhte an ihrer Schulter.
„Wenn das ein Traum ist,“ sagte er, „bist du der einzige Teil, der sich echt anfühlt.“
Aiko drehte leicht den Kopf, sah ihn von der Seite an.
„Und du bist der Teil, der mich nervt, aber den ich nie missen will.“
Genma lachte leise.
„Heirate mich nochmal.“
Sie wandte sich ihm voll zu, ihre Finger fanden seine.
„Du musst schon was Neues bringen,“ sagte sie schmunzelnd. „Diesmal will ich einen Antrag mit Blumen. Und ohne verbrannten Reis.“
Er lachte laut, warf den Kopf leicht zurück. Und sie lachte mit. Echt. Tief. Warm.
In dieser Welt war alles gut.
Und sie liebten sich so, wie sie es sich nie getraut hatten.

Die Sonne stand wie immer im perfekten Winkel. Der Wind wehte wie gemalt durch die Blätter. Und doch... war es anders.
Aiko saß auf der Veranda und runzelte leicht die Stirn. Sie hatte gelacht, noch vor wenigen Minuten. Doch nun wirkte die Szene vor ihr zu ruhig. Zu perfekt.
Der Wind trug keine Vögel mit sich. Die Blätter raschelten nicht wirklich. Und als sie aufstand und ein paar Schritte über das Gras ging, klang ihr Schritt nicht... richtig. Fast hohl.
„Wenn du mit dem Boden streitest, verlierst du. Lass ihn gewinnen.“
Genmas Stimme kam von der Hängematte herüber, entspannt wie immer. Doch als sie sich zu ihm drehte, war ihre Miene nicht mehr weich. Sie war wach.
Aiko blieb stehen. Sah ihn an. Lange.
„Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss?“
Genma grinste, wie automatisch.
„Ich erinnere mich an alles daran. Sogar daran, wie du mich danach beleidigt hast.“
„Weißt du auch... wann genau das war?“
Genma öffnete den Mund. Stockte. Das Grinsen blieb, doch es wirkte eingefroren.
„Irgendwann... vor dem Krieg. Vor der Allianz.“
Aiko trat ein paar Schritte näher an ihn heran.
„Ich weiß, dass es geregnet hat,“ sagte sie leise. „Aber es hat hier noch nie geregnet.“
Stille.
Die Kinder lachten weiter im Garten. Doch das Lachen war zu gleichmäßig, zu rhythmisch. Kein Stolpern. Kein Stolz. Kein echtes Spiel.
Genma setzte sich langsam auf. Sein Blick wanderte zum Himmel.
Die Sonne stand exakt wie gestern. Und wie vorgestern.
„Verdammt,“ murmelte er.
Aiko trat zurück auf die Veranda. Ihre Hände zitterten leicht, nicht aus Angst, sondern aus Enttäuschung. Etwas in ihr hatte gewusst, dass es nicht echt war. Aber das Eingeständnis schnitt tiefer als jede Wunde.
„Ich erinnere mich an deinen Tod,“ sagte sie, fast tonlos.
Genma sah sie an.
„Ich erinnere mich daran, dich in den Armen zu halten. Kurz bevor… das Licht kam.“
Sie standen sich gegenüber. Nicht wie Ehepartner in einem idyllischen Garten.
Sondern wie zwei Soldaten, die aus einem Traum erwachten und genau wussten, was das bedeutete.
„Das hier ist nicht echt, oder?“
Genmas Stimme war leise.
„Vielleicht...“ flüsterte er, „aber du bist es.“
„Und du auch,“ sagte Aiko, ein Hauch von Wehmut in ihrem Blick. „Das ist das Schlimmste daran.“
Sie sprach ruhig. Doch in ihrem Blick lag etwas, das selbst der Tsukuyomi nicht verzerren konnte: Trauer.
Die Kinder lachten weiter. Doch für Aiko und Genma klang es nun nicht mehr nach Zukunft sondern wie ein Echo aus einer Welt, die niemals ihre sein konnte.

Aiko saß auf einem moosbedeckten Stein, die Füße im Wasser. Ihre Schuhe lagen achtlos daneben, als hätte sie sie vergessen. Der See war glatt wie Glas, zu glatt. Keine Libellen, keine Falten, keine Wellen, die eine Geschichte erzählten.
Genma stand ein paar Schritte entfernt, die Hände in den Taschen, den Blick gen Himmel gerichtet. Der Wind berührte ihn nicht. Die Sonne wärmte ihn nicht. Alles war... Kulisse.
„Ich höre sie nicht mehr atmen. Die Welt.“ Aikos Stimme war kaum mehr als ein Gedanke.
Genma antwortete, ohne sich umzudrehen: „Weil sie nie geatmet hat.“
Stille. Nur das Wasser, das sich in sanften, falschen Wellen bewegte, wie ein Schauspieler, der seine Rolle nicht mehr glaubte.
„Ich hab es versucht zu ignorieren,“ flüsterte sie. „Für Rin. Für Takeshi. Für dich.“
„Ich weiß. Ich auch.“
Er setzte sich schließlich neben sie. Nicht zu nah. Nur so, wie früher.
Aiko starrte ins Wasser.
„Ich weiß nicht, was schlimmer ist,“ sagte sie leise. „Dass sie nicht echt sind. Oder dass ich sie trotzdem… liebe.“
Genma nickte langsam. Sein Blick ruhte auf der perfekten, lebendigen und doch reglosen Fläche.
„Ich kenn jeden Ton von Rins Lachen. Ich weiß, wie Takeshi mich nachahmt, wenn er denkt, wir sehen’s nicht. Ich... hab’s geglaubt. Ich hab es gewollt.“
Aiko wandte sich ihm zu. Ihre Augen waren nicht nass. Aber sie waren offen. Zart. Ehrlich.
„Ich hab dich in einer Welt geliebt, in der alles falsch war. Und es war das Echteste, das ich je gefühlt hab.“
Genma sah sie an, und in seinem Blick lag keine Ironie, kein Grinsen, kein Flüchten. Nur Wahrheit.
„Dann lass uns aufwachen. Gemeinsam. Mit allem, was dann kommt.“
Aiko zögerte. Ihre Hand lag in ihrem Schoß, angespannt. Dann hob sie sie, ganz langsam, und legte sie in seine. Zum ersten Mal in dieser Welt ohne Lüge, ohne Fassade.
„Wenn ich die Kinder vergesse… wenn ich dieses Leben vergesse… dann erinnere mich daran, wie ich dich geliebt habe.“
Genma zog sie leicht zu sich. Seine Stimme war weich, fester als das Licht um sie herum.
„Ich werd’s dir jeden Tag sagen. Wenn wir zurück sind. Egal wie dreckig, wie kaputt, wie schwer, wir zwei waren echt. Sind’s immer noch.“
Aiko sah ihn an. Die Sonne stand im Rücken der Welt.
Ihre Finger verschränkt mit seinen. Mit einem leisen Atemzug wusste sie: Es war Zeit.
„Dann weck mich auf, Genma.“
Er nickte, sein Blick fest.
„Und du mich.“

Aikos Augen rissen auf.
Kein Kinderlachen. Kein warmer Reisduft. Kein Holzhaus am Rand Konohas. Nur kalte Erde unter ihrem Rücken. Schwere Rüstung. Staub. Blut.
Ihr Herz raste. Nicht vor Angst. Sondern vor dem Echo eines Lebens, das jetzt nur noch eine Erinnerung war.
Neben ihr zuckten andere Kämpfer. Einige stöhnten, einige weinten.
Einige blickten einfach nur leer in den Himmel. Alle waren gerade aus ihren Träumen gefallen.
Sie richtete sich langsam auf. Kein Wort. Kein Laut. Ihre Hände lagen schwer auf den Knien. Sie bebten nicht.
Aber sie fühlten sich leer an. Dann, eine Bewegung rechts von ihr.
Genma.
Er lag in Seitenlage, den Kopf im Gras, das Gesicht im Halbschatten.
Seine Augen öffneten sich langsam. Und als er sie sah, nur sie, blieb sein Blick an ihr hängen. Lange. Vorsichtig.
Sie erwiderte ihn. Still. Kein Lächeln. Kein „Du bist da.“
Nur... der Blick von zwei Menschen, die gerade ein Leben verloren hatten, das niemand außer ihnen kannte.
Um sie herum: Verwirrung. Rufe. Freude. Panik.
Menschen weinten, schrien, umarmten sich.
Andere starrten regungslos in die Luft, verloren in der Frage, was nun real war.
Shinobi versuchten zu zählen, wer fehlte. Heiler rannten, Befehle wurden gebrüllt. Aber es war chaotisch.
Fassungslos. Wie ein Erwachen aus einem zu langen Schlaf. Und inmitten all dessen standen Aiko und Genma.
Kein Wort. Denn sie wussten:
Nichts, was sie jetzt sagen könnten, würde dem gerecht werden, was sie hatten und verloren hatten.
Ihre Blicke ruhten ineinander. Fest. Still. Und das war alles.

Am Rande des zerstörten Uchiha-Viertels. Einige Gebäude wurden wieder aufgebaut. Andere blieben als Mahnmale stehen. Die Sonne hing tief, goldene Streifen durchzogen die Ruinen.
Der Krieg war vorbei. 
Aiko stand auf einer halb eingerissenen Mauer, den Blick auf die Reste ihres einstigen Clans gerichtet.
Ihre Hände waren ruhig. Ihre Haltung gerade.
Doch ihre Augen, sahen nicht das, was vor ihr lag,
sondern das, was sie verloren hatte, obwohl es nie wirklich da war.
„Mama?“
Der Ruf von Rin. Takeshi, der durch das Gras rennt.
Genma, der in der Küche pfeift, falsch wie immer.
Der Geruch von Tee. Holzfußboden. Lachen.
Sie hörte es noch. Und sie wusste, sie würde es nie wieder loswerden. Nicht, weil sie es wollte. Sondern weil es Teil von ihr geworden war.
Fußschritte hinter ihr.
Genma. 
Langsam.Wie jemand, der weiß, dass Worte schwerer sind als Waffen.
Er stellte sich neben sie. Nicht zu nah. Wie früher.
„Ich dachte, wenn ich mich lange genug nicht bewege, vergesse ich den Klang ihrer Stimmen“, sagte Aiko leise.
„Ich war heute früh in der Küche“, antwortete Genma ebenso leise. „Hab mich dabei erwischt, wie ich drei extra Schalen hinstellen wollte.“
Stille. Nur der Wind. 
„Ich wusste, dass es nicht echt war“, sagte Aiko. „Aber ich hab’s trotzdem gehofft. Bis zuletzt.“
Nach einer Weile meinte Genma: „Ich wollte nie wieder aufwachen. Aber ich bin froh, dass ich’s getan hab."
Aiko sah ihn an. Ihr Blick war nicht hart. Nicht scharf. Nur müde. Offen.
„Ich hab dich in dieser Welt geheiratet. Nicht, weil es einfach war. Sondern weil es sich angefühlt hat, als würde ich’s auch ohne Traum tun.“
„Ich hab dich geliebt. Da drin. Aber ich liebe dich mehr, weil du mich rausgeholt hast.“
Ein Moment. Kein Wind. Kein Lächeln.
Nur der Blick von zwei Menschen, die etwas gemeinsam betrauern und gleichzeitig wissen:
Es war nicht falsch. Nur nicht echt. Aber das hier ist es.
„Glaubst du, wir sind zu spät?“, fragte Aiko sanft.
Genma lächelte schwach. „Wir waren immer ein bisschen zu spät. Aber nie falsch.“
Aiko lehnte sich ganz leicht gegen ihn. Und diesmal zögerte sie nicht. Ihr Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt. Ihr Blick ernst. Offen.Kein Spott. Keine Mauern.
Und dann küssten sie sich. Langsam. Fest.
Nicht wie im Traum. Nicht idealisiert. Sondern echt.
Ein Kuss, der alles sagte, was all die Jahre geschwiegen hatten.
Als sie sich lösten, blieb sie nahe.
„Ich will dich. Nicht das Bild von dir. Nicht das, was hätte sein können. Dich. So. Jetzt.“, flüsterte sie, fast gegen seine Lippen.
Genma schloss kurz die Augen. Seine Stimme kam weich, fast andächtig:
„Dann bleib. Und sag’s nochmal, wenn ich’s wieder vergesse.“
Sie lächelte. 

Sie saßen nebeneinander, hoch oben auf einem der neu errichteten Aussichtspunkte über Konoha. Der Wiederaufbau war fast abgeschlossen, doch in den Schatten der neuen Dächer lagen alte Erinnerungen.
Ihre Beine baumelten über den Rand, eine Decke, lag lose über ihren Schultern.
Aiko hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Stirn an Genmas Schulter gelehnt. Er saß still, seine Hände ruhend in seinem Schoß, das Senbon diesmal in seiner Tasche. Kein Kauen, kein Spiel, nur Atmen.
Und zwischen ihnen: Vertraute Stille. Wie ein Raum, in dem alles gesagt wurde, ohne ein einziges Wort.
Nach einer langen Pause, fast zu lang, um sie noch als Gespräch zu werten, sagte Genma:
„Glaubst du, wir kriegen das hin? Ohne Krieg. Ohne Traum. Nur… uns?“
Aiko überlegte einen Moment. Ihr Atem ging ruhig. Dann:
„Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber wenn wir’s versauen, dann wenigstens gemeinsam.“
Ein Lächeln zog über seine Lippen. Nicht schief. Nicht gespielt. Einfach da.
„Heirate mich.“
Aiko hob den Kopf, sah ihn an, eine Braue leicht angehoben.
„Nochmal?“
„Diesmal mit Regen. Und echtem Reis.“
Sie lachte leise. Warm. Frei. Nah.
„Und ohne verbrannte Realität, okay?“
Dann beugte sie sich vor und sie küssten sich. Nicht hastig. Nicht wie damals im Wald, zwischen Angst und Krieg. Sondern so, als wäre alles an diesem Moment richtig.
Ein Kuss, der nicht versprach, dass alles gut würde.
Aber der sagte: Jetzt. Und genug.
In ihren Herzen lebten Rin und Takeshi weiter, nicht aus Fleisch, nicht aus Blut, aber als leiser Teil dessen, was sie in dieser Welt geworden waren. Nicht verloren.
Nicht vergessen.
Denn was sie sich dort gegeben hatten, trugen sie nun in sich.
Und machten es, in diesem Moment, wirklich.

Die Sonne war schon über den Dächern, als Aiko sich mit einem Seufzen auf das weiche Sitzkissen sinken ließ. Ihr Bauch war rund, schwer, siebter Monat und der kleine Tornado, der durch die Küche flitzte, machte es nicht leichter.
Ihr Sohn, drei Jahre alt, hielt ein hölzernes Kunai in der einen Hand und ein Plüschtier in der anderen.
Er war schnell, laut und stur wie Genma.
Und hatte ihre Augen.
Aiko griff nach einem Apfel, biss ab und rief ohne aufzusehen:
„Wenn du noch einmal über den Tisch springst, lernst du den Holzstil kennen. Direkt auf dem Po.“
„Ich trainiere! Papa sagt, Ninja dürfen nicht trödeln!“, rief ihr Sohn zurück.
„Papa sagt viel, wenn er nicht da ist.“, konterte Aiko mit einem Grinsen.
Da, das Geräusch der Tür. Ein Schlüssel, ein Schritt.
Und eine vertraute Stimme, etwas müde, aber sofort spöttisch:
„Na, wenn du unseren Sohn schon gegen mich aufhetzt, dann wenigstens mit Stil.“
Aiko drehte sich langsam zur Tür, eine Hand auf dem Bauch, die andere den Apfel haltend.
„Hat dich niemand auf der Mission behalten wollen?“
„Doch. Aber sie wollten mich auch füttern. Mit Gift.“, sagte Genma, während er sich ins Wohnzimmer fallen ließ und das Senbon aus dem Mund zog.
Der kleine Junge rannte auf ihn zu.
„Papa!“ und sprang fast, aber nicht ganz. Genma fing ihn ab, hob ihn mühelos auf den Arm.
„Ich hab trainiert! Schau!“, rief der Kleine stolz und stach mit dem Holzkunai in die Luft.
Genma spielte mit, tat, als würde er schwer getroffen werden. Beide lachten.
Aiko lehnte sich zurück.
„Wenn er wie du wird, krieg ich graue Haare, bevor das Baby kommt.“
„Zu spät. Hab heute früh eins entdeckt. Linke Schläfe.“
Aiko gab ihm einen kleinen Stoß mit dem Fuß.
„Ich glaub, ich war letztes mal entspannter schwanger.“
„Ich glaub, du bist jetzt schöner schwanger.“, sagte Genma, diesmal ohne Spott, leise.
Aiko drehte den Kopf. Für einen Moment kein Witz, kein Konter. Nur ein Blick. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Schleim hilft dir nicht beim Abwasch.“
„Aber beim Einschleimen unserer Tochter vielleicht. Ich fang früh an.“
Aiko schmunzelte. Dann wurde ihr Blick weicher. Sie legte die Hand auf seinen Arm.
„Ich bin froh, dass du heute da bist.“
„Ich auch.“, sagte Genma ernst.
Dann, mit einem Grinsen:
„Vor allem, weil ich weiß, dass du dich dann nicht allein mit dem Chaos rumschlagen musst.“
„Feind gesichtet! Angriff!“, schrie der kleine Junge im Spiel.
Ein Kissen flog. Genma tat so, als würde er umfallen. Aiko lachte,  erschöpft, aber frei.

Aiko saß auf der Couch, eine dampfende Tasse Tee in den Händen. Ein dünner Kimono war locker über ihre Schultern geworfen, ihre Füße unter einer weichen Decke verschwunden. Der Dampf der Teetasse kräuselte sich in der ruhigen Luft, und für einen Moment schien alles still zu stehen.
Genma kam aus der kleinen Küche, barfuß, mit einem zweiten Becher in der Hand und dem Senbon, wie immer, zwischen den Zähnen. Müde ließ er sich neben sie sinken, streckte sich aus und lehnte sich zurück, bis ihre Schultern sich ganz leicht berührten.
Nach einem langen Atemzug sagte er leise: „Weißt du, wir hätten das alles auch ein paar Jahre früher haben können.“
Aiko sah ihn nicht an. Sie trank einen Schluck, dann antwortete sie ruhig: „Ich weiß. Aber du warst halt jung und dumm.“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich? Ich hab dir jahrelang Blicke zugeworfen, bei denen selbst ein Blinder was gemerkt hätte.“
Ein Grinsen huschte über ihre Lippen. „Ich dachte, das war deine Art, einen Schlag auf die Nase zu riskieren.“
„War’s auch“, meinte er trocken. „Aber mit Stil.“
Sie lachten beide leise. Danach kehrte wieder eine angenehme Stille ein. Nur das gleichmäßige Klingen ihrer Atemzüge und das entfernte Rascheln der Bäume vor dem Fenster.
Aiko lehnte sich zurück, kaum merklich, als fürchte sie, der Gedanke könne zerbrechen, wenn sie ihn zu fest hielte. Ihr Blick glitt durch das dämmrige Zimmer, verweilte auf den Schatten der Vergangenheit.
„Wenn ich daran denke, wie viele Gelegenheiten wir vergeudet haben …“ Ihre Stimme war leise, fast spöttisch. „Weißt du noch? Das Gasthaus. Zwei Futons, so nah beieinander, dass ein Atemzug genügt hätte …“
Genma verzog das Gesicht, als schmecke er Bitterkeit auf der Zunge. „Ich war überzeugt, du bringst mich um, wenn ich auch nur atme.“
„Du hast geschnarcht“, erwiderte sie trocken. „Das allein war Mordgrund.“
Er lachte leise, aber da war etwas in seinem Blick, das nicht lachte. „Du hättest nur ‚Komm her‘ sagen müssen.“
Ein Flackern ging durch ihre Augen. Spott. Sehnsucht. Etwas Dazwischen. „Hättest du’s getan?“
Ein Moment der Stille. Dann kam seine Antwort, weich wie Schnee, der lautlos fällt. „Sofort.“
Aiko sagte nichts. Ihr Blick glitt zum Fenster, in jene Dunkelheit, die keine Antworten versprach. Einen Atemzug lang schwieg alles – dann wandte sie sich ihm wieder zu.
Aiko schwieg noch immer. Ihr Blick lag auf dem Fensterrahmen, als sähe sie darin etwas, das längst vergangen war.
Genma beobachtete sie, dann wagte er es doch: „Denkst du manchmal noch an ihn?“
„Shisui?“ Sie nickte langsam. „Oft. Mehr, als ich zugeben würde.“
Er schwieg. Die Luft zwischen ihnen spannte sich, wie ein Bogen kurz vorm Loslassen.
Dann, kaum hörbar: „Wenn er noch leben würde … glaubst du, wir wären trotzdem …?“
Sie drehte den Kopf, sah ihn an. Lange. Durchdringend. „Du meinst: du und ich?“
Er nickte nur. Keine großen Worte. Nur diese eine Frage, die schon viel zu lange im Raum geschwebt hatte.
Aiko lächelte schief, beinahe traurig. „Ja.“
Er blinzelte. „Ja?“
„In der Traumwelt war es so.“ Ihre Stimme war ruhig, doch da lag eine Schwere darin, als erzähle sie von einem längst verlorenen Leben. „Immer wieder. Du und ich. Auch wenn alles anders begann, anders endete. Irgendwie… sind wir immer dort gelandet.“
Genma sah sie an, als höre er eine Prophezeiung.
„Ob Shisui lebte oder nicht“, fuhr sie fort, „unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Verheddert, verknotet, verfangen … wie Fäden, die sich weigerten, getrennt zu bleiben.“
Er zog langsam die Stirn kraus. „Schicksal?“
„Vielleicht.“ Sie zuckte die Schultern, doch der Blick in ihren Augen sagte: ganz bestimmt. „Aber es war nie eine Frage des Ob.“
„Sondern?“
Aiko sah ihn an. Ein Lächeln, das keine Freude kannte, huschte über ihre Lippen.
„Nur des Wann.“
Stille.
„Weißt du, was das Traurige ist?“
Genma antwortete leise: „Dass wir’s erst gebraucht haben, alles zu verlieren?“
„Nein“, sagte sie mit einem kaum hörbaren Lächeln. „Dass du trotzdem schnarchst.“
Er lachte, weich, vertraut, warm. Dann lehnte er sich seitlich an sie, legte einen Arm um ihre Schultern. Sie legte den Kopf gegen seine Schulter, schloss für einen Moment die Augen.
„Tja“, murmelte er, „hättest du früher was gesagt...“
„Dann wären wir heute an genau derselben Stelle“, flüsterte sie, „nur mit weniger Drama.“
„Und ohne Kussszene im Weltuntergangswald“, ergänzte er grinsend. „Wäre langweilig gewesen.“
Sie saßen still. Der Tee wurde kalt. Aber die Erinnerungen blieben warm.
Nach einer Weile murmelte Aiko: „Ich bin froh, dass wir’s nicht früher geschafft haben.“
Genma hob leicht den Kopf. „Warum?“
„Weil wir dann vielleicht nicht gelernt hätten, wie wertvoll das hier ist.“
Er schwieg einen Moment. Dann sagte er mit einem leichten Lächeln: „Und weil du mich damals noch nicht so hübsch gefunden hast.“
Aiko drehte den Kopf, küsste ihn auf die Wange, ganz leicht. „Ich find dich heute noch anstrengend“, flüsterte sie. „Aber immerhin mein anstrengend.“
Und in dieser Nacht, ganz ohne Krieg, ohne Traumwelt, ohne Abschied, war ihr Alltag genau das, was sie sich nie zugetraut hatten:
Ein Zuhause.
Dieses Zuhause war nicht perfekt. Nicht ideal. Nicht auf Knopfdruck friedlich.
Aber es war ihres. Und das Lachen in diesem Haus war echt. Selbst mit Holzsplittern im Fußboden, schiefem Senbon im Mund und einer Vergangenheit, die manchmal noch in Träumen schrie.
Denn jetzt war Liebe nicht mehr Traum sondern Alltag.

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