Schatten im Nebel

Der Himmel lag klar über dem Dorf Konohagakure. Die Schatten auf den Dächern waren silbern, weichgezogen vom Licht des Mondes. Auf dem flachen Dach des Missionsbüros saß Genma. Allein. Wie so oft. Das Senbon wanderte gemächlich von einer Mundseite zur anderen, mechanisch, als wäre es ein Taktgeber für seine Gedanken.
Er bemerkte sie sofort. Kein Chakra-Impuls. Kein Laut. Nur eine Bewegung. Geübt. Schnell. Aber nicht schnell genug.
„Gibt bessere Dächer,“ sagte er, ohne aufzusehen.
Ein Augenblick Stille. Dann landete Aiko. Die Erschütterung war kaum spürbar, so präzise war ihr Auftreten. Sie blieb am Rand des Daches stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Haltung war neutral. Keine Kampfbereitschaft. Aber auch kein Gruß.
Genma hob leicht den Kopf, erkannte sie, sagte aber nichts weiter.
„Ich dachte, es wär leer,“ meinte sie kühl.
„War’s auch. Bis du kamst,“ erwiderte er lässig.
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, abschätzend, abwartend. Dann sah sie wieder zum Himmel. Die Stille zwischen ihnen war nicht unangenehm. Nur gespannt. Wie eine Pause zwischen zwei Atemzügen.
„Du bist also einer von denen, die nachts Dächer anstarren,“ sagte sie nach einer Weile.
„Ich könnte dasselbe über dich sagen,“ erwiderte Genma ruhig. „Aber du siehst eher aus, als würdest du gleich wieder gehen.“
Aiko hob eine Augenbraue. Kurz schien sie wirklich darüber nachzudenken.
„Vielleicht sollte ich,“ sagte sie trocken.
Genma zuckte mit den Schultern. „Ich halt dich nicht auf.“
Wieder Stille. Ihr Blick blieb ein Moment länger auf ihm ruhen, als sie selbst wahrhaben wollte. Dann drehte sie sich um, trat langsam zur Dachkante.
Ihre Schritte waren leise, kontrolliert. Als sie im Schatten verschwand, zog Genma das Senbon aus dem Mund, drehte es zwischen den Fingern.
„War trotzdem besser als die üblichen Spatzen,“ murmelte er leise. Fast nur für sich selbst.

Es begann harmlos. Eine Begegnung in der Dämmerung, auf einem Dach, das nicht ihrs war. Aber danach schien das Schicksal Gefallen daran gefunden zu haben, Aiko und Genma immer wieder über denselben Weg zu schicken. Und keiner von beiden wollte es zugeben.
In den Straßen Konohas begegneten sie sich öfter, als es statistisch möglich war. Immer war es zufällig. Immer zu vertraut.
Einmal trafen sie sich beim Takoyaki-Stand an der belebten Hauptkreuzung. Genma stand bereits dort, das Senbon im Mundwinkel, die Haltung lässig wie immer. Als Aiko sich näherte, hob er kaum merklich den Kopf.
„Willst du’s mir ausreden oder willst du einfach hinten anstehen?“
„Ich war vor dir im Gedanken hier,“ konterte sie trocken, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie blieb nicht stehen. Sie stellte sich neben ihn. Kein Gruß. Kein Lächeln. 
Genma bestellte zwei Portionen. Als er ging, ohne sich umzudrehen, ließ er eine davon einfach dort stehen.
Aiko nahm sie wortlos mit.

Bei Missionsbesprechungen mit Teams wie Raidō, Yugao oder auch mal Shikaku tauchte Aiko neuerdings öfter auf. 
Sie saß meist ruhig am Tisch, das Kinn leicht angehoben, die Arme verschränkt, der Blick auf die Karten und Berichte gerichtet. Konzentriert, sachlich, distanziert. Doch sobald Genma sprach, ein beiläufiger Kommentar, ein spitzer Tonfall, hoben sich ihre Augenbrauen. Manchmal ließ sie ein leises „Tch“ hören. Manchmal nicht. Doch jedes Mal, wenn er sich zurücklehnte, das Senbon zwischen den Zähnen drehte, funkelte ihr Blick, als würde sie das Ding am liebsten mit einem gezielten Wurf aus seinem Mund katapultieren.
„Wenn du das Senbon verlierst, bist du dann hilflos oder nur endlich ruhig?“
„Du weißt doch gar nicht, wie angenehm du wärst, wenn du nicht so anstrengend wärst.“
Shisui, der gelegentlich ebenfalls anwesend war, beobachtete das mit einem Lächeln.
„Warum wirkt das hier wie ein Streit zwischen zwei Katzen, die nicht zugeben wollen, dass sie im selben Korb schlafen?“
Beide sagten nichts darauf. Aber keiner sah ihn an.

Bei taktischen Zusammenkünften oder den gelegentlichen ANBU-Briefings, bei denen auch nicht-ANBU hinzugezogen wurden, fanden sich ihre Blicke oft gleichzeitig aufeinander.
Nie lange. Immer nur für den Bruchteil eines Moments. Aber es reichte.
Wenn Aiko den Raum betrat, spürte sie es: Genma war da. Sie sah ihn nicht an, nicht direkt. Aber ihr Körper wusste es, bevor ihr Verstand es zuließ.
Wenn Genma etwas sagte, wusste er vorher schon, dass sie ihn hören würde – auch wenn sie scheinbar nicht zugehört hatte. Manchmal hob sie leicht das Kinn, manchmal tippte sie mit den Fingern auf das Pergament vor sich. Nur Nuancen. Aber sie bedeuteten etwas.
Yugao hatte es längst durchschaut.
„Wenn ihr euch noch einmal so beiläufig ignoriert, bring ich euch persönlich in dieselbe Mission mit nur einem Rückweg.“
Genma reagierte mit einem Stirnrunzeln, das Senbon ruhte in der Ecke seines Mundes. Aiko antwortete mit einem kühlen, abschätzenden Blick, der mehr Herausforderung als Ablehnung war.
Aber keine von beiden widersprach.

Sie ignorierten sich nicht. Nicht wirklich. Sie taten nur so. Mit bemerkenswerter Konsequenz.
Je mehr sie es versuchten, desto deutlicher wurde es.
Ein flüchtiger Kommentar von Genma, der scheinbar an niemanden gerichtet war, aber stets einen Tonfall hatte, den Aiko verstand. Ein gereizter Blick von ihr, der Sekunden zu lang hielt. Ein spöttisches Lächeln, das sich in den Mundwinkeln des anderen festsetzte.
Sie stritten nicht, weil sie sich nicht mochten.
Sie stritten, weil sie sich bemerkten.
Weil sie einander nicht egal waren.
Und beide waren zu stolz, das zuzugeben.
Zwischen ihnen lag ein Spielfeld aus Worten und Blicken, auf dem kein Sieger gesucht wurde – nur Bestätigung. Dass der andere auch noch da war. Dass man gesehen wurde. Gehört. Gefordert.
Ein unausgesprochenes Spiel, bei dem niemand die Regeln aufschrieb. Aber beide sie kannten.

Die Luft war feucht wie Atem, der sich nicht verziehen wollte. Der Nebel war nicht nur Wetter, er war Wesen. Glitt zwischen den knorrigen Bäumen hindurch, kriechend und schwer. Die Welt war in Grautöne getaucht, als hätte jemand Farbe und Konturen vergessen.
Chakra vibrierte in der Ferne, nicht stark, aber fremd. Unrein. Wie ein Herzschlag, der nicht zu ihrem eigenen gehörte.
Der Trupp bewegte sich langsam vorwärts. Jeder Schritt ein Geduldsspiel. Kein Knacken, kein Husten, kein Wort.
Ziel der Mission: Aufspüren und sichern eines Schwarzmarktlagers. Gestohlene Waffen, vermutlich auch verbotene Jutsu-Rollen, getarnt in einer alten Versorgungsstation tief im Wald. Der Hinweis war vage – aber echt genug, um ein erfahrenes Team zu schicken.
Team:
– Shisui Uchiha, vorausgehend, sein Sharingan in stetiger Bereitschaft, Ruhe in Bewegung.
– Aiko Uchiha, drei Schritte hinter ihm, stumm, wachsamer als die Nebeltiere ringsum.
– Genma Shiranui, lümmelnd wirkte er nur nach außen, doch seine Hand ruhte am Beutel mit den Senbon.
– Raidō Namiashi, wortkarg wie immer, aber jederzeit bereit, das Gleichgewicht zu halten.
– Yugao Uzuki, konzentriert, die linke Hand locker am Griff ihres Schwertes.
– Daisuke, Sensor-Nin, jung, aber scharf – der Seismograph des Trupps, seine Finger an der Luft wie an einem unsichtbaren Netzwerk.
Der Plan war klar: Zwei Gruppen, Umfassung von Westen und Norden. Überraschungseffekt sichern. Kontaktaufnahme vermeiden. Informationen beschaffen, wenn möglich, falls nicht, neutralisieren.
Die Karte, die Shisui bei sich trug, war mit Markierungen übersät, aber im Nebel wirkten sie wie Gedanken aus einer anderen Welt.
Sie standen in der Senke, eine Senke, die von dichten Farnen und glitschigem Moos umgeben war. Shisui deutete mit dem Finger auf die aufgefaltete Karte, sein Blick ruhig, souverän.
„Zwei Gruppen,“ sagte er, „Nord- und Westflanke. Wir greifen synchron an, wenn Daisuke das Chakrazentrum lokalisiert.“
Genma lehnte lässig an einem Baumstamm, das Senbon kreiste langsam zwischen seinen Fingern. Sein Blick war halbgeschlossen, aber wach. Er überließ das Reden lieber anderen. Vorerst.
Aiko stand neben Shisui. Wortlos, aber präsent. Ihre Haltung war leicht schräg, ihr Blick glitt unaufdringlich über das Terrain. Wachsam. Selbstbewusst.
Shisui neigte sich ein wenig zu ihr.
„Wenn du auf die Nordflanke gehst – lass die Spiegel nicht zu früh erscheinen. Sie könnten Chakra detektieren.“
„Ich weiß,“ antwortete Aiko, kaum hörbar. 
Ihre Blicke trafen sich kurz. Nicht länger als ein Atemzug, aber voller Vertrautheit. Ein eingespielter Rhythmus. Keine Worte nötig.
Genma beobachtete das, sagte nichts. Doch das Senbon in seiner Hand stoppte für einen Sekundenbruchteil.
„Wenn ihr zwei fertig seid,“ sagte er trocken, „gebt ihr dann auch dem Rest des Trupps 'ne Chance, was zu sagen?“
Aiko wandte den Kopf zu ihm, ein kaltes Funkeln in den Augen.
„Red du doch. Reden liegt dir besser als zuhören.“
Ein paar leise Lacher von Raidō und Yugao. Shisui schüttelte kaum merklich den Kopf, wie jemand, der diesen Ton gewohnt war und keine Energie mehr darauf verschwendete, ihn zu kommentieren.
Dann: Chaos.
Der Nebel schlug zu wie ein lebendiges Wesen. Chakra durchzuckte die Luft, scharf wie ein Schnitt. Innerhalb eines Augenblicks war alles anders.
Ein Zischen. Ein Aufblitzen. Dann Stille.
Die Sicht fiel auf zwei Meter. Stimmen wurden verschluckt. Schritte hallten zu verzerrt wider, um sie zuzuordnen. Daisuke rief etwas, nur ein Fragment drang durch: „...Achtung, sie...!“
Dann war er weg.
Aiko zuckte herum, doch nur weiße Wand. Der Nebel hatte Shisui verschluckt. Raidō war nirgends. Yugao, Genma, sie wusste es nicht.
Sie griff nach einem Kunai, aktivierte das Sharingan. Roter Schimmer zerschnitt das Grau.
Dann eine Bewegung links. Ein Schatten. Ein Rascheln.
Ein Senbon surrte knapp an ihrem Ohr vorbei und traf geräuschlos eine Silhouette, die sich im Nebel aufgelöst hatte. Ein Atemzug später tauchte Genma neben ihr auf. Keuchend, aber konzentriert.
„Nordteam war 'ne tolle Idee,“ murmelte er. „Nur doof, dass der Nebel keinen Plan liest.“
Aiko antwortete nicht. Aber sie blieb an seiner Seite.
Getrennt vom Rest. Nicht allein.
Aiko und Genma bewegten sich durch das dichte Dickicht wie zwei Schatten. Der Nebel hatte sich wie feuchte Watte auf die Welt gelegt, dämpfte jedes Geräusch, verzerrte jede Bewegung. Die Chakrasignaturen um sie herum flackerten, nicht wie Leben, sondern wie Warnungen. Alles war zu still. Zu weich. Zu nah.
Dann: Ein Rascheln.
Bewegung.
Drei, nein, vier Gegner, tauchten aus den Bäumen auf. Vermummt, schnell, koordiniert. Kein Zufallsangriff. Kein Amateure.
Aiko zog ihr Kunai, stellte sich scharf zur Seite.
„Super,“ murmelte sie, „jetzt weiß ich, warum man nie mit dir arbeiten will.“
Genma, das Senbon wie immer im Mundwinkel, zog zwei weitere aus seinem Halfter.
„Liegt bestimmt an meinem Charme,“ erwiderte er.
Keine Zeit für mehr.
Einer kam von oben, zwei schossen von links, der vierte bewegte sich geisterhaft durch den Nebel, suchte die Lücke. Aiko und Genma standen Rücken an Rücken. 
Genma schleuderte die ersten Senbon. Die Präzision war wie immer makellos. Ein Treffer in die Schulter, einer ins Bein, einer gegen den Halsmuskel. Zwei der Gegner wankten, taumelten, aber blieben aufrecht.
Aiko sprang vor, das Sharingan zuckte rot in ihren Augen. Sie konterte einen Hieb, leitete die Kraft des Angreifers um, brachte ihn mit einem flachen Holzspiegel aus dem Gleichgewicht. Der Effekt war minimal, aber genug: Sie traf ihn hart in die Seite, spürte das Knacken der Rippen.
Doch der vierte, der Flüsternde im Nebel, hatte gewartet. Kam von der Seite. Ein Aufblitzen von Klingenstahl. Dann ein Schrei, kurz und scharf.
Der Schnitt an Aikos Arm war tief. Blut sickerte schnell durch den Stoff.
Genma, der einem Angriff auswich, warf einen kurzen Blick zur Seite.
„Tch – jetzt wirst du mir auch noch undicht?!“
„Halt den Mund und kämpf,“ knurrte Aiko.
Und sie taten es.
Schnell. Effizient. Fast blind aufeinander abgestimmt, als hätten sie das schon unzählige Male getan. Kein Zögern. Nur die Mechanik zweier Krieger, die wussten, wie man überlebt.
Als der Nebel sich wieder zu lüften begann, lag Stille zwischen den Bäumen. Vier Körper. Zwei tot. Zwei bewusstlos. Die Luft schmeckte nach Eisen.
Genma strich sich das Blut von der Stirn, drehte sich zu Aiko um, die sich auf einen Baumstumpf fallen ließ, eine Hand an der Wunde.
„Zeig den Arm,“ sagte er ruhig.
„Geht schon,“ kam es zurück, schneidend.
„Ah, die berühmte Uchiha-Sturheit. Muss wohl irgendwo mit vererbt worden sein.“
„Oder ich will einfach nicht von einem halben Mediziner mit senbonverkrampften Fingern behandelt werden.“
Genma zog bereits das Verbandsset aus der Tasche.
„Beruhigend, dass du meine Finger so genau beobachtest.“
Aiko verzog das Gesicht. Nicht vor Schmerz. Sondern weil sie wusste, dass sie diesen Schlagabtausch verlieren würde. Widerwillig setzte sie sich still auf den moosbedeckten Stamm, ließ den verletzten Arm locker hängen.
Genma kniete sich vor sie, riss den Ärmel auf, untersuchte die Wunde. Seine Finger waren ruhig. Geschickt.
„Nicht tief, aber blutet wie ein verletztes Ego,“ murmelte er.
„Kommst du immer mit Sprüchen statt Schmerzmittel?“
„Tja,“ sagte er, während er die sterile Bandage anlegte, „mein Humor ist das Einzige, was du heute kostenlos bekommst.“
Ein Moment Stille. Ihre Blicke trafen sich. Kurz. Direkt. 
„Wenn du das jemandem erzählst,“ sagte Aiko leise, „bring ich dich um.“
Genma grinste. Das Senbon wackelte leicht im Mundwinkel.
„Ich sag nur, dass du kurz nett warst. Keiner würde’s glauben.“
Ein Lächeln huschte über Aikos Lippen. Schmal. Kaum sichtbar.
Der Nebel hatte sich gelichtet, lag nur noch wie ein matter Schleier zwischen den Stämmen, als hätte der Wald selbst einen erschöpften Atem ausgestoßen. Es war still. Nicht das angespannte, unheimliche Still, das vor einem Angriff herrschte – eher das erschöpfte, durchgeatmete. Wie ein Raum nach einem Streit, in dem keiner mehr Energie für Zorn hatte.
Aiko stapfte langsam über das unebene Gelände. Ihr linker Arm war notdürftig verbunden, eng an den Körper gezogen, als wäre er mehr Last als Gliedmaß. Jeder Schritt zehrte. Die Wut war fort, das Adrenalin verflogen. Nur die Erschöpfung blieb.
Genma ging einen halben Schritt hinter ihr. Wachsam, aber nicht mehr schneidend. Sein Blick war ruhig, sein Senbon zwischen den Lippen drehte sich kaum. Es gab keinen Grund zur Eile. 
„Du musst nicht hinter mir herlaufen,“ sagte Aiko leise, ohne sich umzudrehen. „Ich falle schon nicht um.“
„Ich weiß,“ antwortete Genma genauso leise. „Ich würde’s nur gern mit eigenen Augen sehen, wenn du’s doch tust.“
Ein tonloses Schnauben entwich ihren Lippen. Kein richtiger Widerspruch. Nur... Müdigkeit.
Ihre Schritte wurden langsamer. Der Wald war weich unter den Sohlen, aber nicht einladend. Die Bäume standen enger. Die Dunkelheit war nicht mehr bedrohlich, nur dämpfend. Ein Ast knackte unter Genmas Fuß.
Aiko drehte sich kurz zu ihm um.
„Du trittst laut.“
„Ich dachte, wir wollen gefunden werden.“
Noch ein paar Schritte. Dann blieb sie plötzlich stehen. Kein Feindkontakt. Kein Alarm. Nur ein Gefühl. Ein Innehalten. Ihr Atem war flach, aber gleichmäßig.
Genma stoppte hinter ihr, sagte nichts.
„Danke,“ sagte Aiko nach einer Weile. Ihre Stimme war leiser als zuvor. „Für… den Verband. Und… dass du nicht noch mehr geredet hast.“
Genma nickte nur. „Gern. Und keine Sorge – beim nächsten Mal sag ich noch weniger.“
Ein kurzes Zucken in ihren Mundwinkeln. Nicht länger als ein Herzschlag. Aber echt.
„Drohen kannst du also auch,“ murmelte sie.
Ein stilles Einverständnis. Zwei Shinobi, die Seite an Seite standen, weil es gerade nichts Besseres gab, und vielleicht, weil es genau das war, was sie gebraucht hatten.
Sie erreichten eine kleine Lichtung, auf der das Licht gedämpft durch den Nebel fiel. Der Boden war feucht, matschig, durchzogen von Spuren. In der Mitte hockte Shisui, zeichnete mit einem Kunai taktische Markierungen in den Schlamm. Seine Haltung war konzentriert, aber als er ihre Schritte hörte, hob er sofort den Kopf.
Seine Augen flackerten kurz auf. Erleichterung, sichtbar trotz aller Ruhe.
„Da seid ihr ja,“ sagte er. „Ihr habt euch Zeit gelassen.“
Genma ließ sich ohne Umwege auf einen halb vermoderten Baumstumpf fallen, das Senbon drehte sich träge in seinem Mund.
„Tut mir leid,“ sagte er. „Wir haben uns verlaufen. Und wurden fast umgebracht. Du kennst das.“
Aiko sagte nichts. Sie trat an Shisui heran, ihre Bewegungen gewohnt knapp, diszipliniert. Doch ihr Blick war stiller als sonst, ernster. Shisuis Augen glitten zu ihrem Arm, sahen den Verband, glitten weiter zu Genma. Er fragte nicht. Musste er nicht.
Raidō trat mit verschränkten Armen aus dem Schatten eines Baumes und warf Genma einen schiefen Blick zu.
„Und? Wurdest du verletzt?“
Genma spuckte das alte Senbon ins Gras, zog ein frisches aus seinem Halfter.
„Mehr mit Worten als mit Waffen,“ murmelte er. „Aber ich lebe noch.“
Yugao trat an Aiko heran, der Blick weich, aber nicht mitleidig. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch.
„Und du?“
Aiko hob eine Braue, ihre Stimme trocken wie immer.
„Leider.“

Die Mission war abgeschlossen. Das Lager gesichert, die Feinde vertrieben, Informationen extrahiert. Es war kein makelloser Sieg. Aber ein echter.
Sie standen am Waldrand. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, warf rostrote Schlieren über das Blätterdach. Der Nebel war gebrochen. Endlich.
Aiko blieb kurz stehen, ehe sie den Wald verließ. Ihr Blick glitt seitlich über die Schulter.
Genma stand ein paar Meter entfernt, sah schweigend in die Tiefe der Bäume. Wie jemand, der ein Echo suchte.
Er spürte ihren Blick, drehte sich zu ihr.
„Du kämpfst besser, wenn du wütend bist,“ sagte er ruhig.
Aiko nickte kaum merklich.
„Und du redest besser, wenn du nichts sagen willst.“
Ein stilles Nicken folgte. 

Ein kleiner Pavillon am Rand von Konohas Trainingsfeld 13 – ein Ort, den kaum jemand nutzt. Es war früher Abend. Die Sonne hing tief am Himmel, warf warmes Licht durch die überwachsenen Zweige. Schatten tanzten über das Gras wie alte Erinnerungen, die keiner mehr laut aussprach.
Aiko saß auf der Holzbank unter dem Pavillondach. Allein. Oder dachte sie zumindest. Der Arm, längst verheilt, erinnerte sie nicht mehr an Schmerz, sondern an Stille. 
Sie war früher gegangen. Zu früh, um nicht aufzufallen. Zu früh für jemanden, der nicht wusste, wohin genau.
Dann: Schritte.
Langsam. Lässig. Nicht suchend – scheinbar.
Genma trat unter das Dach, die Hände locker in den Taschen.
„Ich dachte, dieser Ort sei verflucht,“ sagte er. „Oder langweilig. Oder beides.“
Aiko drehte den Kopf ein Stück zur Seite. Kein Anzeichen von Überraschung. Aber sie bewegte sich auch nicht weg.
„Dann passt er ja zu dir,“ erwiderte sie ruhig.
Genma grinste schief, trat näher, hielt aber einen respektvollen Abstand. Er zog ein Senbon aus der Tasche, drehte es nachdenklich zwischen den Fingern.
„Ich war in der Nähe,“ sagte er. „Hab das Gras gesehen. Dachte mir: Wer sitzt denn da so unauffällig, dass es auffällt?“
„Und du konntest nicht anders, als stören?“
„Ich nenn’s Gesellschaft leisten. Auch wenn du’s vermutlich anders siehst.“
Aiko musterte ihn kurz, dann deutete sie mit einem kaum merklichen Nicken auf die Bank neben sich.
„Wenn du dich setzen willst – tu’s. Aber keine langen Monologe.“
Genma setzte sich. Die Bewegung war flüssig, vertraut, und er schien sich sofort ein wenig zu entspannen.
„Toll,“ murmelte er. „Jetzt hast du mir mein bestes Talent verboten.“
Stille folgte. Nicht die peinliche, sondern die angenehme. Die zwischen Menschen, die nicht reden müssen, um sich nicht fremd zu sein.
Sie schauten nicht einander an, sondern in dieselbe Richtung, über das Feld, wo der Wind durchs hohe Gras fuhr. Ein paar Vögel kreisten am Himmel, zu faul für Flucht, zu frei für Rast.
„Weißt du…“ sagte Aiko nach einer Weile, „ich frage mich, warum du hier bist.“
„Ich frage mich, warum du mich nicht sofort weggeschickt hast,“ erwiderte Genma ruhig.
Ein Moment verging. Ihre Blicke trafen sich, kurz, direkt, aber nicht herausfordernd.
„Vielleicht war ich müde,“ sagte sie leise.
„Vielleicht warst du neugierig.“
„Oder du störst einfach nicht genug, um die Mühe wert zu sein.“
Genma grinste. „Wow. Fast ein Kompliment.“
Aiko sagte nichts mehr. Aber sie wirkte ruhiger und offen. Nur ein kleines bisschen.
Genma sprach wieder, leise, ohne sie anzusehen:
„Ich geh gleich wieder. Ich wollte nur sehen, ob du genauso aussiehst, wenn du mal nicht kämpfst.“
„Und?“
„Du siehst… ziemlich gleich aus. Nur ein bisschen weniger bereit, mir den Kopf abzureißen.“
Ein schmales Lächeln erschien auf Aikos Lippen.
„Das kann sich ändern.“
Genma stand auf. Langsam, nicht gehetzt. Steckte das Senbon zurück in die Tasche. Aiko schaute ihm nicht direkt hinterher, aber sie hörte, dass seine Schritte langsamer waren, als sie sein müssten.
„Vielleicht lauf ich morgen wieder zufällig hier vorbei. Wer weiß,“ sagte er, als er ging.
„Vielleicht bin ich dann wieder zufällig woanders,“ antwortete Aiko, ohne sich zu drehen.
Aber sie blieb noch eine ganze Weile sitzen.

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