Kapitel eins

Der Abend des Musashi Fests war gekommen, und das Haus der Geschwister war erfüllt von hektischem Treiben und Vorfreude. Moe zog einen wunderschönen Kimono an, ein leuchtend blauer Stoff mit zarten Blumenmustern, der ihre Augen zum Strahlen brachte. Sie kämpfte mit den komplizierten Bändern und Schleifen, während sie sich im Spiegel betrachtete. Keisuke hingegen zog es vor, seine gewöhnlichen Klamotten anzubehalten, auch wenn Moe ihn mit einem Seitenblick ansah und meinte, er könnte sich für so ein Ereignis ruhig mal ein bisschen herausputzen.
"Du weißt schon, dass wir nur zu einem Fest an einem Schrein gehen, oder? Kein Grund, sich wie für eine Gala zu kleiden", neckte er sie mit einem frechen Grinsen, während er die letzten Vorbereitungen traf.
"Jaja", antwortete Moe, während sie sich vor dem Spiegel drehte, "aber jemand muss hier ja stilvoll auftreten."
"Bist du fertig? Wir müssen los, oder wir verpassen die besten Stände!", rief Keisuke aus seinem Zimmer und kam hereingestürzt. Sein Haar war noch zerzaust, und er suchte fieberhaft nach seinem Haargummi.
"Fast fertig!", antwortete Moe, während sie die letzten Anpassungen an ihrem Kimono vornahm. "Und beruhig dich, das Fest läuft die ganze Nacht."
Keisuke grinste ungeduldig, während er die Tür öffnete. "Na gut, aber beeil dich, sonst muss ich ohne dich los!"
Als die Geschwister schließlich auf dem Festgelände ankamen, war die Luft erfüllt von köstlichen Düften und fröhlichem Gelächter. Überall leuchteten bunte Lampen, und die Menschenmenge bewegte sich von Stand zu Stand. Moe und Keisuke waren sofort von der Atmosphäre verzaubert.
Sie probierten sich durch verschiedene Fressbuden und lachten über Keisukes erfolglose Versuche, ein riesiges Kuscheltier am Schießstand zu gewinnen. Moe, die ebenfalls kein Glück hatte, ermutigte ihren Bruder mit einem neckenden Grinsen: "Vielleicht sollten wir einfach aufgeben und stattdessen die Schokobananen probieren."
Keisuke seufzte, aber die beiden lachten weiter und gingen zur nächsten Attraktion. Als ihr Geld langsam knapp wurde, entschieden sie sich, noch einen Crepe zu teilen. Plötzlich begann es zu regnen, und die beiden suchten unter den Bäumen in einem etwas abgelegenen Teil des Fests Schutz. Moe hielt den Crepe, während Keisuke von der anderen Seite abbiss, und sie lachten über die klebrige Situation.
"Hey, pass auf! Du isst meinen Teil!", beschwerte sich Moe scherzhaft, während sie versuchte, den Crepe vor Keisukes gierigem Mund zu retten.
Mitten in ihrem Spaß vibrierte Keisukes Handy in seiner Tasche. Er sah auf den Bildschirm und sein Gesichtsausdruck wurde ernst.
"Ich muss kurz weg", sagte er und wandte sich zu Moe. "Kommst du alleine zurecht?"
Moe sah ihn aufmerksam an. "Die Gang?", fragte sie leise.
Keisuke nickte, bemüht, seine Besorgnis zu verbergen. Moe schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. "Mach dir keine Sorgen, ich komme schon klar."
"Ich beeile mich auch", versprach Keisuke, bevor er in der Menge verschwand.
Kurz nachdem Keisuke gegangen war, trat ein gut aussehender Kerl an Moe heran. Er hatte ein charmantes Lächeln, das jedoch schnell eine bedrohliche Note bekam.
"Na, bist du ganz allein? Ist dir kalt?", fragte er charmant und versuchte, ihr seine Jacke über die Schultern zu legen.
Für einen Moment war Moe von seinem Aussehen beeindruckt, doch sie erinnerte sich schnell daran, vorsichtig zu sein, und wich geschickt aus. "Danke, das geht schon", antwortete sie höflich, aber bestimmt.
Der Kerl grinste selbstgefällig. "Du brauchst doch keine Angst zu haben. Ich werd dir nichts tun."
Er griff nach ihrem Handgelenk, und Moe spürte Unbehagen aufsteigen. "Ich will einfach nur etwas Spaß. Und du siehst aus, als könntest du etwas Spaß gebrauchen."
Er zog leicht an ihrem Handgelenk, doch Moe riss sich los und rannte panisch durch den Wald, in Richtung eines nahegelegenen Parkplatzes.
Völlig außer Atem blieb Moe schließlich stehen und drehte sich um, um sicherzustellen, dass der Kerl sie nicht verfolgte. Zu ihrer Erleichterung war sie allein. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
Doch ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Sie merkte, dass sie doch nicht alleine war. Sie bemerkte die angespannte Atmosphäre um sich herum und erkannte die Uniformen der Tokyo Manji Gang, die sich in einem Kampf befanden. In der Ferne sah sie die auffälligen Haare der Kawata-Brüder, was ihr einen Funken Erleichterung verschaffte, jemanden zu sehen, den sie kannte. Moe beobachtete die beiden mit großen Augen und war beeindruckt, wie cool und geschickt sie im Kampf agierten. Sie fand es faszinierend, wie sie sich trotz des Chaos' um sie herum so souverän und selbstsicher bewegten.
In diesem Moment entdeckte sie auch Mikey, den charismatischen Anführer der Tokyo Manji Gang, der sich gerade in einem angespannten Gespräch mit Hanma befand. Hanma war groß und schlank, mit struppigem Haar. Er trug eine auffällige weiße Jacke, die ihm ein gefährliches Aussehen verlieh, und seine Augen funkelten mit einer Mischung aus Spaß und Bedrohung.
Als Hanma den Blick von Moe bemerkte, blitzte ein unheilvolles Grinsen über sein Gesicht. Keisuke, der in der Nähe der beiden kämpfte, folgte mit einem mulmigen Gefühl im Magen Hanmas Blick und entdeckte Moe. Er eilte sofort zu ihr und drückte sie unauffällig hinter einen Baum. Moe konnte die Ernsthaftigkeit in Keisukes Augen sehen und wusste, dass sie keinen Mucks machen sollte.
Keisuke blieb in ihrer Nähe und passte auf sie auf, während der Kampf zu Ende ging. Moe war zum Glück erst gegen Ende des Konflikts aufgetaucht, denn nach nur wenigen Minuten zogen sich die Gegner zurück, und auch die Tokyo Manji Gäng begann sich langsam aufzulösen.
Keisuke drehte sich zu Moe und winkte sie zu sich. Sie eilte zu ihm, froh, ihn unversehrt zu sehen.
"Warum um alles in der Welt bist du hier?", fragte Keisuke mit wütender Stimme. "Ich sagte doch, dass ich wieder zurückkomme."
Nahoya und Souya, die gerade gehen wollten, bemerkten Keisukes laute Stimme und entdeckten Moe. Neugierig gesellten sie sich zu den Geschwistern.
Moe sah die Zwillinge und seufzte: "Ich erklär dir das später. Aber glaub mir, ich hätte keine Sekunde länger dort bleiben können. Es war Zufall, dass ich genau hier gelandet bin."
Keisuke, noch immer etwas verärgert, verstand jedoch, dass Moe nicht in der Stimmung war, alles vor Ort zu erklären. "Wie du meinst", sagte er mit einem Hauch von Verständnis.
Nahoya erkundigte sich besorgt: "Ist alles in Ordnung?"
Moe bestätigte: "Alles gut."
Nahoya musterte die beiden, und ihm fiel ein Stein vom Herzen. "Also war dein Bruder deine Begleitung?" fragte er mit einem breiten Grinsen.
Erst jetzt fiel Nahoya auf, dass Moe einen wunderschönen Kimono trug. Er betrachtete sie genauer und lächelte.
Moe wurde rot und stammelte: "Ja, also, irgendwie schon. Ist das so schlimm?"
Nahoya lachte und neckte sie: "Und ich dachte, du gehst mit einem geheimen Verehrer."
Moe schüttelte den Kopf, während ihre Wangen glühten. "Oh, hör auf! Es ist nicht so, wie du denkst."
Nahoya lächelte breit. "Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher."
Keisuke beobachtete die beiden amüsiert und wandte sich an Souya. "Was geht denn da ab?"
Souya zuckte mit den Schultern und antwortete mit einem leichten Schmunzeln: "Das geht doch bei denen immer so."
Die Spannung löste sich langsam, und Moe war froh, dass der Abend nicht so dramatisch endete, wie sie befürchtet hatte. Trotz des unerwarteten Zwischenfalls fühlte sie sich in der Nähe ihres Bruders und insbesondere der Kawata-Brüder sicher und geborgen. Sie wusste, dass sie auf ihre Freunde zählen konnte, egal was passierte.

Nachdem sich die Geschwister von den Kawata-Zwillingen verabschiedet hatten, machten sich Moe und Keisuke auf den Heimweg. Der Regen hatte aufgehört, und die Nacht war klar und frisch. Moe zögerte zunächst, doch schließlich erzählte sie ihrem Bruder, was während seiner Abwesenheit auf dem Fest passiert war.
"Ein Typ hat versucht, mich anzugraben", begann Moe zögernd und blickte nervös auf den Boden. "Er war wirklich aufdringlich und hat nicht aufgehört, bis ich ihm irgendwie entkommen konnte."
Keisuke blieb abrupt stehen, sein Gesichtsausdruck wurde ernst. "Was?!", rief er, seine Stimme vor Wut bebend. "Warum hast du mir das nicht sofort gesagt? Ich hätte ihm gezeigt, dass man sich mit meiner Schwester nicht anlegt!"
Er drehte sich um, offensichtlich bereit, umzukehren und dem Unbekannten eine Lektion zu erteilen. Doch Moe ergriff schnell seinen Arm.
"Nein, Keisuke, lass es gut sein", sagte sie eindringlich und zog ihn sanft zurück. "Er ist es nicht wert, und außerdem habe ich es geschafft, ihm zu entkommen. Bitte, lass uns einfach nach Hause gehen."
Keisuke zögerte, immer noch voller Wut, aber er sah, wie Moe ihn mit großen, flehenden Augen ansah. Schließlich seufzte er tief und gab nach. 

Während sie weitergingen, versuchte Moe, ihre Gedanken zu ordnen. Die Begegnung mit dem Kerl ließ sie nicht los. Sein selbstgefälliges Grinsen, das Gefühl seiner Hand auf ihrem Handgelenk – es ließ einen unangenehmen Schauer über ihren Rücken laufen. Sie konnte die Angst nicht ganz abschütteln, die in ihrem Magen rumorte. Was wäre passiert, wenn sie nicht hätte entkommen können?
Um sich abzulenken, dachte sie an die peinliche Situation mit Nahoya. Es war so typisch für ihn, sich darüber lustig zu machen, dass sie mit ihrem Bruder auf dem Fest gewesen war. Moe konnte spüren, wie ihre Wangen wieder heiß wurden, als sie sich an das Grinsen von Nahoya erinnerte.
"Toll, jetzt denkt Nahoya wahrscheinlich, ich hätte sonst niemanden gefunden, mit dem ich gehen könnte", murmelte sie leise zu sich selbst.
"Was hast du gesagt?", fragte Keisuke, der neben ihr ging und sie besorgt ansah.
„Ach, nichts“, antwortete Moe schnell und versuchte, ihre Gedanken zu verbergen. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und versuchte, die Situation zu entspannen.
Keisuke ließ sich nicht so leicht ablenken. „Du und Nahoya also?“, fragte er neugierig und schielte zu seiner Schwester.
Moe errötete und versuchte, die Verlegenheit zu verbergen. „Was soll mit uns sein?“
„Na ja, du wirkst oft ein bisschen... verlegen, wenn sein Name fällt“, sagte Keisuke mit einem schiefen Grinsen. „Stehst du etwa auf ihn?“
Moe starrte ihn entsetzt an und schüttelte den Kopf. „Quatsch, das ist nicht so. Er ist einfach... nun ja, manchmal nervig, aber wir verstehen uns ganz gut.“
„Also ist da nichts?“, hakte Keisuke nach, immer noch neugierig.
„Keisuke, hör auf“, bat Moe peinlich berührt. „Es ist nichts, wirklich. Wir sind einfach Freunde, und das ist alles.“
Keisuke schien die Antwort zufriedenstellend zu finden, auch wenn ein Lächeln an seinen Lippen kitzelte. „Na gut, wenn du das sagst.“
Moe atmete erleichtert auf. Es war gut, mit ihrem Bruder sprechen zu können, und seine neugierigen Fragen lenkten sie zumindest ein wenig von den dunklen Gedanken ab.
Sie war froh, dass sie zusammen waren. Keisuke sorgte für einen kleinen Lichtblick in der düsteren Nacht, obwohl der Gedanke an den Unbekannten weiterhin in ihrem Kopf nagte. Während die Nacht sie umhüllte, fühlte sich Moe ein kleines bisschen sicherer, zu wissen, dass sie nicht allein war. Doch die unheimlichen Gedanken blieben, und sie konnte sich nicht ganz von der Angst befreien, die immer noch in ihrem Inneren brodelte.

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